„Hugo ruft.“

Er ist ein Stück zerbrechliche Literatur: der Liebesbrief. Er kann Ausdruck der Sehnsucht, des Vermissens, der Vernarrtheit, der innigen Liebe sein, aber auch Zeugnis von Verbitterung, Verletztheit und Eifersucht. Er kehrt das Innerste nach außen und bannt es auf Papier, nur für einen Adressaten bestimmt.

Und doch werden manche Liebesbriefe irgendwann veröffentlicht. Der Band „Schreiben Sie mir, oder ich sterbe“, herausgegeben von Petra Müller und Rainer Wieland, versammelt Liebesbriefe berühmter Personen, von Schriftstellern, Schauspielerinnen, Königen, von Malerinnen, Journalisten, Musikern und Wissenschaftlerinnen, und legt damit Bruchstücke intimster Korrespondenzen aus insgesamt neun Jahrhunderten offen – angefangen bei einem Liebesbrief aus dem Jahr 1133 und endend in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Friedrich Nietzsche macht einen spontanen Heiratsantrag und zieht ihn direkt schuldbewusst zurück, Jean-Paul Satre schreibt an seine „süße kleine Blume“ Simone de Beauvoir, Ludwig van Beethoven und Charles Baudelaire schreiben an unbekannt gebliebene Geliebte und Anaïs Nin überschüttet Henry Miller schriftlich mit anzüglichsten Liebesbekundungen, während aus dem Nebenzimmer ihr Ehemann ruft.

Ich möchte mit Dir so wilde Dinge tun, dass ich nicht weiß, wie ich sie sagen soll.
Hugo ruft. Ich werde den Rest des Briefs heute Abend beantworten.

Derweil sinniert ein liebestrunkener und eifersüchtelnder Fernando Pessoa:

Leb wohl; ich werde mich mit dem Kopf nach unten in einen Eimer legen, um meinen Geist auszuruhen. So machen es alle großen Männer – zumindest, falls sie haben: 1. Geist, 2. Kopf, 3. einen Eimer, in den sie den Kopf hineinstecken können.

Manche Briefe sind beschwingt, humorig und Ausdruck glücklicher Verliebtheit, andere zeugen von Wehmut, von Abschiedsschmerz und vom Scheitern. Persönlichste Kommunikation, die man nicht ohne ein seltsames Gefühl des Voyeurismus lesen kann. Eingerahmt werden die einzelnen Briefe von Begleittexten, die die Umstände des jeweiligen Dokuments erläutern, außerdem von einer Vielzahl an Fotografien, Malereien und von Faksimiles diverser Briefe. Neben dem Blick auf die Briefe und ihre Autorinnen und Autoren im Speziellen ist der Band aber auch eine Liebeserklärung an das Schreiben im Allgemeinen, an den persönlichen Brief, an die Handschrift und an Post, auf die man lange sehnsüchtig wartet und die teils viele hundert Kilometer zu ihrem Adressaten überwindet. Vielleicht – gerade jetzt – eine Form des Ausdrucks von Zuneigung in Zeiten räumlicher Trennung, die man wieder häufiger nutzen könnte.

♠ Petra Müller, Rainer Wieland (Hrsg.): »Schreiben Sie mir, oder ich sterbe«. Liebesbriefe berühmter Frauen und Männer. Piper 2016, 296 Seiten, gebunden, 42,- Euro. ISBN: 978-3492057943. ♠

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