Gerade die zweite Hälfte dieses Buches zu lesen, hat in den letzten Tagen ein besonders flaues Gefühl hinterlassen. Aufgeteilt in die großen Kapitel „Davor“, „1933“ und „Danach“ steuerte Florian Illies‘ „Liebe in Zeiten des Hasses“ so oder so auf einen Abgrund der Menschheitsgeschichte zu. Aber mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine, mit dem Gefasel seitens Putin von Genozid und „Entnazifizierung“ in der Ukraine, mit Bombenangriffen und Toten tut sich plötzlich auch jetzt wieder ein neuer Abgrund der Geschichte auf.
Viel muss über das Buch vermutlich nicht mehr gesagt werden. Der Spiegel Bestseller-Sticker und die bislang 17 Wochen in der Bestseller-Liste stehen vielleicht für sich. Wie in „1913“ und „1913: Was ich unbedingt noch erzählen wollte“ verfolgt Florian Illies in „Liebe in Zeiten des Hasses“ die Biografien berühmter Künstler und fasst chronologisch und gern auch humoristisch-lakonisch kommentierend ihr Leben im Jahre 1933, im „Davor“ ab 1929 und, sofern es das noch gab, im „Danach“ bis 1939 zusammen. Anders als bei „1913“ umfasst „Liebe in Zeiten des Hasses“ demnach eine Spanne von elf Jahren, geht als Chronologie daher auch bei weitem nicht so in die Tiefe wie die vorherigen Bände. Das erweckt gerade dann, wenn man „1913“ kennt, den Eindruck eines fast ein wenig flüchtigen Durchhuschens durch die Geschichte, wo man sich doch einen so viel tieferen Einblick gewünscht hätte. Dennoch ist es zweifelsohne eine bemerkenswerte Fleißarbeit von Illies, all die vielen Künstlerbiografien, ihre Liebes-, Leidens- und Fluchtgeschichten so anschaulich aufzuarbeiten und zusammenzustellen, all die Werdegänge, die politischen Verstrickungen, die Geschichten aus dem Exil.
Im Exil, auf der Flucht, sind nun wieder hunderttausende Menschen in Europa. Wenn man Buch und Schutzumschlag wieder zusammenschiebt, sieht man die Farben der ukrainischen Flagge. Die Biografien in diesem Buch sind vielleicht 100 Jahre alt. Der Gegenwartsbezug ist heute aber erschreckenderweise wieder unmittelbarer denn je.
♠ Florian Illies: Liebe in Zeiten des Hasses. Chronik eines Gefühls 1929–1939. s. Fischer Verlag 2021, 432 Seiten, gebunden, 24 Euro. ISBN: 978-3-10-397073-9 ♠