Fight – Love! Ach nee, doch nicht.

Dafür, dass er Epileptiker ist, hat er seinen Weg gemacht. Er ist sechsunddreißig, promovierter Jurist und hält zehn Prozent der Anteile des elektrotechnischen Familienunternehmens, das sein Großvater in den dreißiger Jahren gegründet hat.

Die Rede ist von Roland Ziegler, der – wir schreiben das Jahr 1999 – nach Berlin zu einer Konferenz fährt, in der über Entschädigungszahlungen deutscher Firmen an ehemalige Zwangsarbeiter aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs diskutiert werden soll. Und Roland Ziegler ist, wie es der den Roman einleitende Satz bereits mitteilt, Epileptiker. Zwar ist er seit zehn Jahren anfallsfrei, doch als er in Berlin aus einem Taxi steigt, macht sich bei ihm das ungute Gefühl eines eventuell drohenden Anfalls bemerkbar. Um dem entgegenzuwirken, geht Roland in das nächstgelegene Café und trifft dort auf Zoe, eine Frau Ende zwanzig, die im Haus des Cafés wohnt und die er nach oben begleitet, um sich ein Mittel gegen Übelkeit mitgeben zu lassen. Roland ist von ihr von Beginn an fasziniert, und spätestens als Zoe ihn spontan auf seiner Geschäftsreise nach Amsterdam begleitet, verfällt er ihr mehr und mehr.

Der Roman verknüpft Rolands Lebensgeschichte und die seines Familienunternehmens mit Rolands Suche nach dem, was für ihn Liebe ist – denn eine Definition davon fällt ihm merklich schwer. Doch anstatt ein wenig facettenreicher über die Dinge nachzudenken, teilt Roland die Welt gern in Schwarz und Weiß ein. Es beginnt schon damit, dass er selbst, der Anzugträger und feine Geschäftsmann, zunächst doch sehr irritiert ist von der umtriebigen Jazzsängerin Zoe, die für ihn zu einer völlig anderen Welt gehört – was er ihrem Printshirt mit den Aufdrucken „Fight“ und „Love“ umgehend ablesen kann. Bei der Konferenz zu Entschädigungszahlungen hebt Roland seinen moralischen Zeigefinger, den er daraufhin den gesamten Roman über kaum mehr sinken lässt. Aber auch hier sind Rolands Gedanken zu moralischem Handeln kaum mehr als oberflächliche Überlegungen.

Kurt ist ein blonder, eloquenter, etwas langweiliger Riese. Auf einmal denkt er: ein Germane.

Bei einem betrügerischen Hütchenspiel in der Fußgängerzone („Der Hütchenspieler spricht das übliche vereinfachte Deutsch eines Ausländers, der nicht vorhat, die Sprache gründlich zu lernen.), dem Zoe und er auf der Straße beiwohnen, versucht Roland, sich zum edlen Ritter und Retter der Tugenden aufzuschwingen, scheitert aber daran, dass er das Vertrauen der jungen Frau, die gerade ihr Geld an den Hütchenspieler verliert, nicht gewinnen kann. Man mag sich fast schon hämisch darüber freuen, dass Roland sie nicht überzeugen kann, wenn man Betrachtungen liest wie:

Der Hütchenspieler spürt, dass sie nicht bereit ist, sich dem Fremden anzuvertrauen. Er spürt die Macht, die er über sie hat. In der Welt, aus der er stammt, ist er es gewohnt, dass Frauen sich seinem Willen beugen. Dass für Frauen zu lieben bedeutet zu gehorchen.

Solche Passagen verleihen dem Roman einen seltsamen Beigeschmack. Vielleicht ist er eher für Leser geschrieben, die hier die Arme verschränken und ein „Ja ist doch wahr“ vor sich hinnicken. Wenn sich zu solchen Sätzen noch die oftmals unrund wirkenden Dialoge gesellen, die Gespräche, die mitten im Thema abgebrochen werden, ohne dass dafür irgendein Grund ersichtlich ist, die etwas konstruiert wirkenden Erzählstränge, die am Ende in teils vorhersehbarer Weise zusammenlaufen und die manchmal schlichtweg nicht nachvollziehbaren Handlungen des Protagonisten, der in Bezug auf seine Epilepsie zwar heilfroh über seine zehnjährige Anfallsfreiheit ist, dann aber schlichtweg zu faul, sich neue Medikamente zu besorgen, als seine ihm ausgehen, bleibt leider nicht viel Lobenswertes übrig. Die familiär kleinen und die gesellschaftlich großen Themen (und davon gibt es mehrere) bleiben im Roman leider oft unausgegoren und enden nicht selten mit Rolands Flucht vor näherer Auseinandersetzung.

♠ Ulrich Woelk: Was Liebe ist. Deutscher Taschenbuch Verlag 2013, 300 Seiten, Taschenbuch, 14,90 Euro. ISBN: 978-3423249492. ♠

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