Furchtbar.

Krissie Donald ist das, was sie selbst als gescheiterte Existenz bezeichnen würde: Sie ist Mutter wider Willen und kommt, auch wenn sie selbst beruflich als Sozialarbeiterin verwahrloste Kinder vor ihren Eltern schützt, nicht im Geringsten mit der eigenen Verantwortung klar. Sie wandelt von einer Bettgeschichte zur nächsten, ist nicht fähig, sich dauerhaft zu binden – sucht vielleicht, findet aber nichts, was dem Glück auch nur annähernd ähnelt. Auch ihr Kind entstand in einer drogengeschwängerten Nacht im Urlaub auf Teneriffa, ist vaterlos und überfordert sie. Um auszuspannen und den Kopf wieder frei zu bekommen fährt Krissie mit ihrer besten Freundin Sarah und deren Ehemann Kyle in die schottischen Highlands.
Sarah und Kyle wiederum versuchen seit Jahren erfolglos, ein Kind zu bekommen. Ihre Ehe ist dementsprechend seit langem auf eine Zerreißprobe gestellt und das Scheitern kündigt sich bereits lautstark an. Schon auf der ersten Seite erfährt der Leser, dass Krissie im Laufe dieses Ausflugs mit Kyle, dem Mann ihrer besten Freundin, Sex haben und ihre beste Freundin umbringen wird.

Wenn das kein Grund ist, weiterzulesen. Wenn das kein Grund ist, 200 Seiten darauf zu warten, dass endlich das passiert, von dem man sowieso schon weiß, dass es passiert. Wenn das kein Grund ist, einer wirr erzählten Handlung voll von abgedroschenen Teenie-, später Thrillerklischees zu folgen und dauerhaft nach der Spannung zu suchen, die auf der ersten Seite so plump aufgebaut wurde. Stetig schwankend zwischen Slapstick und Pornographie wird immer wieder versucht, inmitten von derber, witzelnder Sprache das Thema Kindesmissbrauch zu behandeln, was ebenso derb misslingt. Von der chaotischen Antiheldin über den frustrierten Ehemann, die nicht schwanger werden wollende, in Therapie befindliche, durchdrehende Freundin bis hin zum netten, kiffenden Aussteigertypen, dem heimlichen Helden, der für seine Angebetete alles tut und der von ihr wiederum nicht beachtet wird, wird hier jedes Klischee bedient. Wenn dann die verdrogte, saufende Sozialarbeiterin ihren Sohn, den sie vorher für eine wilde Nacht im Zelt verleugnet hat, den sie schreiend in der Wohnung allein ließ, den sie monatelang nicht einmal mit einem Lächeln bedacht oder mit mütterlicher Wärme behandelt hat, am Ende plötzlich doch wiederhaben will, ist die Absurdität perfekt, wird jedoch formschön verpackt und mit dem Etikett “Selbstfindung” versehen. Mögliche Sympathie mit der Protagonistin, die sich den ganzen Roman über schon nicht einstellen wollte, löst sich vollends in Verwirrung auf und reiht sich ein ins Wirrwarr der nicht nachvollziehbar handelnden Charaktere, gleich neben dem “Bitte, hier ist meine Pistole, erschieß mich doch, ach tust Du ja doch nicht, aber ich bin so ein schlechter Mensch”-Pädophilen, dessen Eskapaden nah am Voyeurismus vorbeischrammen. Spätestens das kann man auch mit dem überall anklingenden britischen Humor nicht mehr entschuldigen. Furchtbar.

♠ Helen Fitzgerald: Furchtbar lieb. Kiepenheuer & Witsch 2011, 240 Seiten, Taschenbuch, 7,99 Euro. ISBN: 978-3462043082. ♠

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