Von Kokosnüssen und jenen, die ihnen nachlaufen

Da liest man und liest, man wartet und wartet auf die Passagen, die einem doch bestätigen müssen, dass da etwas ideologisch Fragwürdiges im Buch sei. Da hat man von dieser Diskussion gehört, von Für- und Gegenstimmen und hat es nicht weiter verfolgt, man hat das Buch ja da und will es selbst noch lesen. Und man liest und liest, aber da ist nichts. Dann wundert man sich: Ist man etwa nicht feinfühlig genug? Versteht man all diese mit Ironie gespickten Anspielungen etwa vollkommen falsch?

Nein. Man versteht ganz richtig. Da ist nichts Fragwürdiges. Da ist nur ein Roman, der sich zu lesen lohnt.

In „Imperium“ erzählt Christian Kracht die Geschichte August Engelhardts, eines Aussteigers während der kurzen Kolonialzeit des Deutschen Reichs, neu. Engelhardt war überzeugter Nudist und Vegetarier – genauer gesagt: Kokovore. Im Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts hatte Engelhardt die Kokosnuss zur reinsten aller Früchte auserkoren, zog aus in die deutschen Kolonien Papua-Neuguineas und gründete dort den „Sonnenorden“, dessen Ziel es war, nach Engelhardts nudistischem und kokovorem Ideal zu leben.

Wir folgen Engelhardt auf seiner Reise in die Südsee, begleiten ihn beim Kauf der Insel Kabakon, auf der er eine Kokosnuss-Plantage betreiben wird, wohnen der Akquise von Adepten für den Sonnenorden bei, treffen auf illustre Gestalten der Gesellschaft der vorletzten Jahrhundertwende und schwelgen ein wenig in der Fremdartigkeit der Südsee, im Flair der Kolonialwarenläden. Illusterste Gestalt von allen ist zweifelsohne Albert Engelhardt selbst, dessen ideologisches Konzept innerhalb der Jahre auf der Plantage bei andauernder Kokosnuss-Diät stetig verquerer wird.

Es bleibt unverständlich, welche Passagen den Vorwurf des rechtsideologischen Gedankenguts in „Imperium“ nähren konnten. Ganz im Gegenteil: Kracht streut an diversen Stellen Bemerkungen ein, die falsch zu lesen eigentlich kaum möglich erscheint.

Mit dem indischen Sonnenkreuze eindrücklich beflaggt, wird alsdann ein kleiner Vegetarier, eine absurde schwarze Zahnbürste unter der Nase, die drei, vier Stufen zur Bühne … ach, warten wir doch einfach ab, bis sie in äolischem Moll düster anhebt, die Todessymphonie der Deutschen. Komödiantisch wäre es wohl anzusehen, wenn da nicht unvorstellbare Grausamkeit folgen würde: Gebeine, Excreta, Rauch.

Der düstere Fortlauf der Geschichte schwebt stets bedrohlich im Hintergrund, hier und dort in die Erzählung eingewoben. Auch einige zufällige Aufeinandertreffen Engelhardts mit berühmten Personen seiner Zeit wie etwa Thomas Mann, der den Nudisten am Strand sieht und beschämt bei der Polizei anzeigt, sind witzig zu lesen, selbst wenn sie mit dem Fortlauf der Erzählung nichts zu tun haben. Aber gerade diese gewollt unstete Erzählweise Krachts macht „Imperium“ sehr lesenswert.

♠ Christian Kracht: Imperium. Kiepenheuer & Witsch 2012, 256 Seiten, gebunden, 18,99 Euro. ISBN: 978-3462041316. ♠

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