„… zünde ein Feuer in mir an, brenne alles nieder“

Mit dem Nötigsten auskommen zu müssen – das prophezeit sich Elisabeth, genannt Lisa, bereits nach den ersten Tagen in Kanada. Sie ist 16 und gerade im frostigen Territorium von Yukon angekommen, wo das Thermometer nur selten positive Zahlen schreibt. Aus dem Nest ihrer gut situierten und christlich-religiös geprägten Familie geradezu entflohen, versucht Lisa nach anfänglicher Orientierungslosigkeit im fremden Land Anschluss zu finden. Für ein paar Tage wohnt sie bei ihrer Schwester, die mit ihrem Mann in Kanada lebt, zieht dann in die Wohnung einer neugierigen, missmutigen Vermieterin, von der sie recht bald wieder vor die Tür gesetzt wird.

Woran orientieren, in einem fremden Land? Die Schwester lebt knapp 120 Kilometer entfernt von Lisas Highschool- und Wohnort und scheidet als unterstützende oder kontrollierende Instanz aus. Nur an Sonntagen teilen sich die beiden den Gang zum Gottesdienst, der Lisa ein zunehmend schlechtes Gewissen beschert. Sie klinkt sich in die Gemeinschaft ihrer Mitschüler ein, will dazugehören. Feucht-fröhliche Partys bescheren ihr eher zufällig den Ruf, trinken zu können wie ein Seemann, mitsamt dem Kosenamen „german sailor“. Nach ihrem Rauswurf aus der Wohnung zieht Lisa zusammen mit mehreren anderen in eine mintgrüne Reihenhaushälfte. Zu Alkohol und Zigaretten mischen sich recht schnell Drogen und Fehlstunden an der Highschool. Lisa will sich beweisen, will anerkannt werden. Mit dem Geld, das ihre Familie ihr schickt, bezahlt sie die Miete für die zur Party-Hochburg und Messi-WG verkommenden Wohnung. Sie geht kaum noch zur Schule, trinkt – und verliebt sich. Immer weiter klafft der Graben zwischen den Mahnreden von Pastor Leroy und den filmrissigen Partys. Predigttexte vermischen sich mit Rocksongs, bis eines Tages eine alkoholgetränkte Feier eine tiefe Kerbe in Lisas Leben schlägt. Der Konflikt zwischen der Reinheit der religiösen Erziehung und ihren Erlebnissen steigert sich für Lisa bis in eine existenzielle Zerreißprobe.

Und hinter allem steht – zehn Jahre später – Lisa, die in der Rückschau versucht, ihre chaotische, in Nebel gehüllte Zeit in Kanada zu ordnen und von sich zu schreiben. Sie will etwas loswerden, das an dieser Zeit haftet, das vergessen werden will, aber nicht vergessen werden kann. Sie schafft ein Mosaik aus kanadischen Versatzstücken, eine Montage, die die Puzzleteile zu einem unvollständigen Bild zusammenfügt, einen Lückentext, der die verdrängten Leerstellen der Vergangenheit widerwillig auszufüllen sucht.

Dass die Autorin Lisa Kränzler bildende Künstlerin ist und Malerei studiert hat, spiegelt sich auch in ihrer Sprache wider. Insbesondere die Farben – in den Schnee-Ebenen von Kanada hauptsächlich blasse, weiße, graue und dreckige Töne – sind überaus präsent, zudem das Aufsprengen von gewohnten Bildern in bruchstückhafte, mikroskopische Detailaufnahmen, in Partikel, die sich wiederum zu einem kunstvollen, großen Ganzen verketten. Oftmals ist unklar, ob die gerade beschriebenen Vorkommnisse wirklich geschehen oder nur Auswuchs einer Drogeneskapade sind. Und in all dem rauen, oft ungeschmückten Tonfall gibt es einige Stellen von kunstvoll stilsicherer Sprachschönheit.
„Export A“ ist ein beachtlicher Debütroman über unbedachte Konsequenzen, über das versuchte Austreiben der eigenen Dämonen durch das Schreiben, über Verantwortung, Schuld und Sünde.

♠ Lisa Kränzler: Export A. Verbrecher Verlag 2012, 265 Seiten, gebunden, 21,00 Euro. ISBN: 978-3943167030. ♠

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