Kall in der Eifel, im Jahr 2006: Eine Kleinstadt im Aufruhr – wie elektrisiert: Der Stausee in der Stadt soll vergrößert und ausgebaut werden, soll die Attraktivität des heruntergewirtschafteten Ortes wieder steigern und durch einen Ferienpark Touristen und Wohlstand anziehen. Die Bevölkerung zerteilt sich in zwei Lager von Befürwortern und Gegnern des Projekts. Die „Grauköpfe“, eine eingeschworene Gruppe alternder Männer in Kall, gehören klar zu den Befürwortern. Die Gruppe trifft sich tagtäglich in der Cafeteria des Supermarkts in Kall, um die neuesten Entwicklungen in dem Ort zu besprechen. Nichts entgeht dem tratschenden Gespann, nicht nur bezogen auf die Details zum Stausee, sondern generell: Jede Person, die die Cafeteria betritt, wird eingehend begutachtet und tuschelnd kommentiert, jedes Detail über den See und der neuste Kaller Klatsch und Tratsch landet in der Cafeteria auf dem Tisch der Grauköpfe.
Die Supermarkt-Cafeteria ist Dreh- und Angelpunkt des neuen Romans von Norbert Scheuer, „Am Grund des Universums“. Zahllose Einwohner, Durchreisende, Geschäftsleute, Menschen mit und ohne Namen, passieren das Café, bleiben für einen Tee oder ein belegtes Brötchen, und sind bald wieder fort. Darunter sind teils auch Personen, die – wie zu erwarten war – bereits in anderen Romanen von Norbert Scheuer eine Rolle spielten. Da ist zum Beispiel Paul Arimond, heimgekehrter Afghanistan-Soldat und Protagonist des Romans „Die Sprache der Vögel“, oder Vincentini, der bereits in Scheuers Roman „Peehs Liebe“ eine Rolle spielte. Ihre Geschichten werden nach und nach in den Roman eingewoben, immer im stetigen Szenenwechsel mit der Cafeteria und den neusten Nachrichten vom Stausee-Projekt.
„Am Grund des Universums“ ist streckenweise ein ganzes Konvolut angerissener Geschichten, aus lauter Namen ohne weitere Bedeutung, aus lauter namenlosen Personen, die mit ein wenig Hintergrundgeschichte versehen werden und dann kontextlos wieder davongehen. Damit verflochten wird einerseits das Stausee-Projekt, andererseits Geschichten einzelner Bewohner des Ortes, in denen es oftmals darum geht, dem Alltag zu entfliehen und zu Außergewöhnlichem aufzubrechen, sei es eine Reise in einem Boot quer über den Atlantik, ein Silberschatz in den ehemaligen Bergwerksstollen, ein geheimnisvolles Vermögen in einem Tresor oder eine Reise zum Grund des Universums in einem selbstgebauten Raumschiff.
Doch stetig springt die Handlung wieder zurück in die Cafeteria und wird zu einem seitenlangen „Leute gucken“ aus der Cafétisch-Perspektive. Man könnte meinen, dass es ein Roman ist, wie gemacht für Menschen, die ebenfalls gern in Cafés sitzen und andere Menschen beobachten. Aber leider fällt es schwer, Interesse an den Personen im „Jeder-kennt-jeden-Ort“ Kall zu entwickeln, an den „ganz normalen Leuten“ und ihren nur kurz angerissenen Geschichten. Der Funke vermag nicht überzuspringen. Leider bleibt es bei sehr profanen Beschreibungen, die sich wenig Zeit nehmen für die einzelnen Personen, kaum auf Details eingehen und sich dann sprunghaft den nächsten Personen widmen. Und auch die Rahmenhandlung rund um den Stausee in Kall verleiht dem Roman zwar seinen roten Faden, aber keinen Spannungsbogen. Nur die sich ab und an mit der Realität vermischenden Gedankenspiele einzelner Bewohner Kalls, die aus dem Alltag, der Eintönigkeit entfliehen wollen und sich in unterschiedlichste Szenarien träumen oder auf Schatzsuchen begeben, reißen zwischendurch immer mal kurz aus der nüchternen Schilderung einer allzu unspektakulären Realität heraus. Aber leider nur kurz. Die so einnehmende Poesie der vorangegangenen Romane schimmert leider viel zu selten durch. Schade.
♠ Norbert Scheuer: Am Grund des Universums. C. H. Beck Verlag 2017, 240 Seiten, gebunden, 19,95 Euro. ISBN: 978-3406711794. ♠