…where mister, when you’re young

Rosarius Delamot ist kein gewöhnlicher Erzähler. Seine gesamte Kindheit und Jugend über sprach Rosarius kein Wort, teilte sich nur in stetigem Summen mit. Er war ein Sonderling, konnte nicht mit anderen Kindern seines Alters zur Schule gehen – erst mit 23 Jahren fing er zögerlich an zu sprechen.
Mittlerweile in einem Seniorenheim wohnend, blickt Rosarius auf sein Leben zurück und erzählt seine Geschichte, die – wie auch andere Romane von Norbert Scheuer – größtenteils in der Eifel spielt. Parallel dazu wird von Annie erzählt, der knapp 30-jährigen Altenpflegerin, die sich geradezu hingebungsvoll um Rosarius kümmert. Der Leser begleitet sie bei ihrer Arbeit, beim Abschied von gestorbenen Bewohnern des Seniorenheims, beim Beobachten ihrer heimlichen Liebe, einem jungen, von Annie Bellarmin genannten Mann, der ebenfalls für das Seniorenheim arbeitet – und bei den vielen Stunden, die sie bei Rosarius verbringt.

Rosarius‘ Geschichte ist, wie man schon vermuten kann, keine gewöhnliche. Seine Mutter Kathy scheint selbst der Welt ein wenig entrückt zu sein, ihr Liebhaber Vincentini ist es nicht weniger. Er ist ein fliegender Händler, der nach dem Krieg sein Geld insbesondere mit dem Verkauf eines Wunderheiler-Instruments namens „Perseus“ verdient – einem Gerät, das durch die Einwirkung von Strom angeblich alles zu heilen vermag. Rosarius begleitet Vincentini oftmals auf seinen Handelsreisen, zunächst als stiller Begleiter, der im Auto wartet, später auch als Anschauungsobjekt für die mutmaßlichen Erfolge des „Perseus“. Auch fährt Rosarius oft bei dem Lkw-Fahrer Karl Höger mit. Zusammen unternehmen sie Fantasiereisen, in denen sie mit dem Laster durch sämtliche Kontinente fahren und auch Erdachtes wird für Rosarius zur Realität. Wenn Karl Höger erzählt, dass sie gerade über die Golden Gate Bridge gefahren sind, dann werden Fantasie und Wirklichkeit für Rosarius gleichbedeutend. Ab und an wird auch von Rosarius‘ Vater berichtet, einem Archäologen, der den alten Straßen und Handelswegen der Antike quer durch Europa und den Nahen Osten gefolgt ist. Seine Reiseberichte sind illustre Einsprengsel in der Erzählung.

Und dann ist da Peeh. Sie ist Rosarius‘ große Liebe. Sie lernen sich als Kinder in der Zeit kennen, in der Rosarius sich der Welt nur summend mitteilt und freunden sich an, auch gegen den Willen von Peehs Mutter. Eine Zeit lang verbringen sie jeden Tag miteinander, bis Peeh wegzieht und Rosarius von Sehnsucht und Kummer geplagt wird.

Norbert Scheuer hat mit „Peehs Liebe“ einen Roman voll von nahezu zeitloser Poesie geschaffen. Ruhig, fast unberührt von äußeren Ereignissen scheint diese Geschichte aus der Eifel zu sein und auch in der Sprache findet sich diese Zeitlosigkeit wieder. In die Erzählung eingewoben finden sich zahlreiche Zitate aus Hölderlins „Hyperion“, die sich mit der Poesie von Scheuers Worten perfekt verbinden. Alles scheint in der Zeit verloren zu sein und alles dreht sich dennoch um diesen kleinen Ort Kall in der Eifel. Zugleich üben die ungewöhnlich kurzen Kapitel, die selten mehr als drei bis vier Seiten umfassen, eine unheimliche Sogwirkung aus und viel zu schnell hat man diesen kurzen, geradezu komprimierten Roman durchgelesen.

„Peehs Liebe“ ist atmosphärisch sehr dicht – durch die kunstvolle Sprache, die der Realität ein wenig entrückte Geschichte, aber auch durch die vielen Parallelgeschichten, die den Roman mit anderen Erzählungen Norbert Scheuers verbinden. So trifft man auch in diesem Roman auf Leo Arimond, den man bereits aus „Flussabwärts“ oder „Überm Rauschen“ kennt. Auch viele Orte kennt man bereits aus vorherigen Werken Scheuers, von Gaststätten, Fußballplätzen bis hin zum Supermarkt, was dazu führt, dass die Geschichte trotz ihrer traumwandlerischen Erzählweise sehr real wirkt. Von Roman zu Roman lernt man die provinzielle Abgeschiedenheit dieser Handlungsorte in der Eifel besser kennen, ohne dass sie konstruiert oder künstlich wirken.

In jedem Fall ist Kall eine Reise wert – zumindest eine Lesereise. Und „Peehs Liebe“ ist ein Roman, von dem man sich zehn Mal so viele Seiten gewünscht hätte. Mindestens.

♠ Norbert Scheuer: Peehs Liebe. C. H. Beck Verlag 2012, 222 Seiten, gebunden, 17,95 Euro. ISBN: 978-3406639494. ♠

(Auch zu Norbert Scheuer: I come from down in the valley…)

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